Innovative Ideen rund um den Leichtbau haben das Zeug dazu, der Möbelindustrie und dem Innenausbau zukunftsweisende Impulse zu verleihen – und das nicht nur beim Gewicht. Das ist das Fazit, das die Teilnehmer des 4. Leichtbausymposiums am 30. März 2017 in Detmold zogen. Eingeladen hatte die Interessengemeinschaft Leichtbau igeL e.V., die mit dem übergeordneten Thema „Leichtbau in Bewegung“ einen Nerv getroffen hatte. Mit mehr als 160 Teilnehmern übertraf die Resonanz die Erwartungen der Organisatoren.
Knapper Wohnraum in den urbanen Ballungsgebieten, flexible Arbeitsorte, eine immer älter werdende Bevölkerung, ein starkes Nachhaltigkeitsbewusstsein, höhere Ansprüche an individuelle Lösungen – all diese Entwicklungen bieten dem modernen Leichtbau Steilvorlagen. Denn längst geht es nicht mehr nur ums Gewicht. Mobile Leichtigkeit im Möbel- und Innenausbau definiert sich heutzutage über wandelbare Möbel, Wände, Decken und Böden, über effektive Stauraumnutzung, cleanes, ausladendes Design, einfaches Handling und Multifunktionalität.
Das 4. Leichtbausymposium der Interessengemeinschaft Leichtbau igeL e.V. machte die Vielseitigkeit des Themas deutlich. 16 Referenten sprachen innerhalb von drei Themenblöcken über Materialien, evolutionäre und revolutionäre Entwicklungs- und Vermarktungsansätze, über Verarbeitungsmöglichkeiten in Industrie und Handwerk, über nützliche Anwendungen, Entwicklungsperspektiven, Herausforderungen und Marktchancen. 14 Unternehmen nutzten in diesem Rahmen die Möglichkeit, ihre Lösungen mit Table Top-Präsentationen für die Teilnehmer erfahrbar zu machen. Sie werteten das Symposium einmal mehr auf als Vortrags- und Diskussionsforum mit Messe- und Netzwerkcharakter.
„Leichtes“ Denken generiert Mehrwert
„Travelino“ und „Osccar“ – als Wohnwagen und pfiffiges Stauraumsystem für den VW Bulli repräsentieren sie, wo Nachdenken über mobile Leichtigkeit begann. Die beiden Entwicklungen standen im Mittelpunkt des ersten Themenblocks unter dem Motto „Bewegte Massen“.
Thomas Frick und Hubertus Schulte-Nölke vom Caravan- und Wohnwagenhersteller Knaus Tabbert ließen die Symposiumsteilnehmer an der Entstehung des „Travelino“ teilhaben. Das Ergebnis, ein um 25 Prozent leichterer Wohnwagen, sei nicht nur flexibel beim Design und einfach in der Montage, sondern biete Mehrwert, mit dem sich sehr gut neue Zielgruppen gewinnen lassen: weniger Verbrauch und höhere Reichweiten, kein Update der Führerscheinklasse, mehr Zuladung, mehr Stauraum, mehr Komfort. Mit einem freien Entwicklungsansatz beim Chassis und dem selbsttragenden, verwindungssteifen Aufbau betrat das Unternehmen Neuland.
Mit Würth und Lightweight Solutions beteiligten sich zwei weitere igeL-Mitglieder an der Entwicklung dieser neuen Wohnwagengeneration. Achim Wieland von der Adolf Würth GmbH & Co. KG erläuterte die effiziente und in Handwerk und Industrie vielfältig nutzbare Coldmelt-Technologie, die als Verbindungstechnik im „Travelino“ zum Einsatz kam.
Michael Schäpers und Marcus Wehner, Lightweight Solutions GmbH, riefen schließlich zu einem neuen“Leichtbewusstsein“ auf, das auch mit der differenzierten Verwendung der Begriffe „Leichtbauplatte“ versus „Hochleistungswerkstoff“ einhergehe. Ihre im „Travelino“ eingesetzte „Lisocore“ sei ein Hightechprodukt, das aus minimalem Ressourceneinsatz maximale Wertschöpfung generiere und den weit verbreiteten Vorurteilen gegenüber Leichtbauprodukten schlagkräftige Argumente entgegensetze. Mit ihrer hohen Biegefestigkeit, die über der einer Spanplatte liegt und an der neben dem Material auch die Form mitwirke, überwindet die „Lisocore“ den zuvor von Dr. Axel Lehmann, Landrat des Kreises Lippe, erwähnten scheinbaren Widerspruch zwischen Leichtigkeit und Stabilität.
Dass nicht allein das Gewicht Denkansätze liefert, beweist Martina Dekomien. Ihr unter anderem auf Möbelkonstruktion spezialisiertes Unternehmen „detail3“ entwickelte ein modulares Stauraumsystem, das alle Wohnsituationen für den „T5“ abdeckt und die Nachteile der am Markt verfügbaren Systeme aus dem Weg räumt. „Osccar“ sieht nicht nur gut aus. Er bewährt sich dank gutem Zugriff, maximaler Raumnutzung und geringem Gewicht beim Camping genauso wie im Alltag, lässt sich modular und ohne Werkzeug ein- und ausbauen sowie leicht reinigen. Mit ihrer Erfindung trifft Dekomien das Gefühl von Freiheit und Flexibilität, das die Werte des „T5“ als Nutzfahrzeug unterstützt.
Der erste Themenblock des Leichtbausymposiums brachte ein positiv stimmendes Fazit: Wer sich mit Leichtbaulösungen beschäftigt, ist ein Vorreiter bei der Entwicklung und mit neuen Materialien, Technologien und Produkten bestens für die Zukunft gerüstet. Mit den generierten Mehrwerten schaffen die Innovationen Synergien zum immobilen Möbel- und Innenausbau.
Bewegende Lehre und Forschung
„Leichtbau ist die Provokation des Optimalen.“ Die Frei- und Querdenker kamen im zweiten Themenblock des Leichtbausymposiums zu Wort. Professor Andreas Mühlenberend von der Bauhaus Universität Weimar, von dem das Zitat stammt, erläuterte mit Entertain-Qualitäten, wie er für innovatives Industriedesign der Wahrheit der Natur auf der Spur sei und sich der Leichtbau die „Soft Kill Option“ zunutze machen könne. Diese mit Algorithmen des Knochenwachstums arbeitende Programmiersprache bringt Industrieprodukte hervor, deren Aussehen sich von gelernten Strukturen unterscheiden. Mühlenberend hinterfragte, warum Leichtbaumaterialien Deckplatten haben müssten. Warum solle man nicht auch sichtbare Werte nach außen vermitteln? Und er rief dazu auf, auf die Herausforderungen im Leichtbau nicht zwingend mit Materialänderungen zu reagieren; das Material – so Mühlenberend – sei egal.
Aktuelle Entwicklungen bei der Herstellung von Papierwabenkernen für den Innenausbau stellte Dr. Max Britzke von der TU Dresden, Fachbereich Holz- und Faserwerkstofftechnik, vor. Seine aktuellen Forschungen beschäftigen sich mit der Herausforderung, expandierte Wabenkerne mit industriellen Herstellungsverfahren dreidimensional formbar zu machen.
„Leichtbau heißt, sich Veränderungen zu stellen.“ Professor Dr. Thomas Volling, Lehrstuhl für Produktion und Logistik an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Fernuniversität Hagen, analysierte in seinem Vortrag Bremser und Treiber im Leichtbau und transferierte die Erkenntnisse von der Automobilindustrie zum Möbel- und Innenausbau. Beide Branchen profitierten von positiven Effekten wie Energieeffizienz in der Nutzung, höhere Konstruktions- und Designvielfalt, längere Haltbarkeit, Ergonomie und Mobilität, kämpften aber immer wieder mit der Recyclingfähigkeit der Produkte und der Kostenargumentation. Volling stellte zwei Ansätze vor, wie sich Innovationen in den Markt tragen lassen: den evolutionären, eher betriebswirtschaftlichen Ansatz, mit dem erst einmal ein Markt geschaffen und Strukturen und Prozesse aufgebaut werden („Market pull“), und den revolutionären Ansatz, der sich zunächst den Technologien für neue Materialien widmet („Technology push“). Seine spontane Online-Abstimmung über Treiber und Bremser im Möbelleichtbau traf auf große Resonanz. Neue konstruktive Möglichkeiten hielten mehr als 50 Prozent der Teilnehmer für den größten Treiber; Akzeptanz und Nachfrage sowie die Kosten nannten sie als größte Bremser.
Eignen sich Lösungen, die sich in der klassischen Bauwerksbefestigungstechnik bewährt haben, auch für den Möbelleichtbau mit der „Eurolight“-Wabenplatte von Egger? Das untersuchte Raphael Voltmer, Absolvent im Studiengang Holztechnik an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo. Vergleichbar seien beide Bereiche gewesen, weil man es hier wie dort mit geringen Materialstärken und Hohlräumen zu tun habe. Voltmers Fazit: Ein Großteil der getesteten Dübel, vor allem aber die Hohlraum- und Gipskartondübel, seien direkt verwendbar und bildeten eine zerstörungsfrei wieder lösbare Verbindung.
Den Abschluss des zweiten Themenblocks gestaltete Professor Martin Stosch, Gründungsmitglied des igeL e.V. und Leiter des Labors für industriellen Möbelbau, Konstruktion und Entwicklung an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, Lemgo. Sein Vortrag beschäftigte sich mit den verschiedenen Denkweisen bei der Annäherung an ein neues Thema. Im Fokus stand der bedenkentragende Handwerker, dem das Thema Leichtbau schon in der Berufsausbildung mit unkomplizierten, direkt umsetzbaren Ideen emotional näher gebracht und schmackhaft gemacht werden müsse.
Dem weit verbreiteten Vorurteil, dass für Leichtbaumöbel die Verbindungstechnik nicht gelöst sei, setzte Stosch „Wood Insert“ und Wood Spring“, letzterer eine Art „Lamello“ für den Leichtbau, entgegen. Die beiden im täglichen Handling des Schreiners einfach einzusetzenden Holzbauteile hätten bei Unterbauschränken, die man zusammen mit Beeck Küchen realisiert habe, dauerhaft stabile und vielfältige Verbindungslösungen für die 19 mm dicke Egger-„Eurolight“-Platte mit 4 mm Deckschichten ergeben.
Wirtschaft in Bewegung
Dass das Thema Leichtbau wiederholt in Ostwestfalen-Lippe (OWL) angetrieben wird, belegte der dritte Themenblock, den Uwe Gotzeina, Leiter der Kreiswirtschaftsförderung des Kreises Lippe, Detmold, und Mitglied des erweiterten Vorstandes der Interessengemeinschaft, moderierte. Im Pressegespräch anlässlich des Leichtbausymposiums erklärte er gemeinsam mit Jörg-Düning Gast, Verwaltungsvorstand beim Kreis Lippe, die Besonderheiten der Region, in der sich Unternehmen der Möbelindustrie, vorgelagerter Zulieferbranchen, nachgelagerte Handelsorganisationen genauso bündeln wie zahlreiche Fachverbände der Holz- und Möbelindustrie sowie renommierte Ausbildungsinstitutionen.
Als Vertreter eines der ebenfalls in OWL stark vertretenen Maschinenbauunternehmen leitete Axel Sprenger, IMA Klessmann GmbH, den dritten Vortragsblock ein. Die Wabenplatte, die in der Türenindustrie bereits Standard sei, bilde für IMA das Material der Zukunft, nicht zuletzt wegen effektiver Transportvoluminanutzung, einer leichteren Montage und Demontage und weniger Reklamationen. Mit hochwertigen Fertigungsverfahren konzentriere man sich bei IMA aktuell auf zwei Forderungen der Industrie: die Druckstabilität im Bearbeitungsverfahren sowie den hochwertigen Kantenverschluss.
Die Banova-Leichtbauplatte stand im Mittelpunkt des Vortrages von Ralf Haverkamp, Airex AG, Schweiz. Das Unternehmen widmet sich der nachhaltigen Gewinnung von so genanntem Balsa-Holz und stellt daraus verschiedene Produkte her, die im Möbelbau, in Windkraftanlagen oder im Innenausbau (Messe-, Laden-, Bühnenbau) zur Anwendung kommen. Balsa, so Haverkamp, sei das am schnellsten nachwachsende und leichteste Holz der Welt. Die Produkte hätten den Vorteil, höchst druckfest, formstabil und formaldehydfrei zu sein. Als Vollholz lässt sich Balsa einfach be- und verarbeiten.
Einen ganz anderen Materialansatz findet die 3D Core GmbH & Co. KG aus Herford. Sie veredelt Schaumkerne, die beispielsweise als Hybride in Sandwichbodenplatten des Fahrzeugbaus vorkommen, mit einer dreidimensionalen Wabenstruktur. Das Hightech-Verfahren stammt aus der Luft- und Raumfahrt. Es verleiht den Strukturschäumen Eigenschaften, die sie auch für andere Einsatzbereiche prädestinieren: Schiffsbau, Sportartikelindustrie, Containerherstellung, Windkraftanlagenbau. Dr. Dietmar Müller erörterte die Vorteile: hohe Schub- und Drucksteifigkeit, Schall- und Wärmeisolierung, leichte Verformbarkeit, Drapierfähigkeit und Biegung, geringes Gewicht, Imprägnierung gegen Verrottung.
Vor den Schlussworten bot das Programm des Symposiums als Gimmick einen Motivationsvortrag von Internetunternehmer Oliver Flaskämper. Er konfrontierte das Auditorium mit einer Reihe zunächst absurd klingender Ideen, die Denkanstöße gaben. Die Präsentation zeigte Häuser, die via 3D-Drucker innerhalb eines Tages gebaut werden können.
Mut und Ausdauer
Die Akzeptanz mancher Entwicklung am Markt zu fördern und Vorurteile dem Leichtbau gegenüber abzubauen, darin sahen die Teilnehmer des 4. Leichtbausymposiums die größte Herausforderung für die Zukunft. Dr. Lucas Heumann, Hauptgeschäftsführer der Verbände der Holz- und Möbelindustrie NRW, ermutigte: „Auch die Möbelindustrie ist in Bewegung.“ Küchen würden immer funktionaler, Möbel variabel und mobil und Räume wandelbarer. Da sei Leichtbau ein großes Thema. Sicher könne man nicht von einem Massenphänomen sprechen, wohl aber von einer höchst innovativen Nische, die mit dem Mut und der Ausdauer ihrer Akteure ganz sicher Erfolg haben werde.
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